Somos Uno - Reisebericht Peru 2022

Frank Niedertubbesing 21.07.2022

Endlich! Nach einer knapp zweijährigen Pause war ich erleichtert, als der Flieger von der Startbahn Richtung Peru abhob. Die Corona-Pandemie hatte meine (unsere) Reisepläne in letzter Zeit immer wieder durcheinandergewirbelt. Eigentlich hatte ich in den letzten anderthalb Jahren an einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn gebastelt, die Pläne im Februar 2022 dann aber entmutigt an den »Nagel gehängt«. Dass ich auf den »Peru-Fotoreise-Zug« mit Zoom-Expeditions noch aufspringen konnte, war eine tolle Sache. Nun ist das Abenteuer bereits Geschichte, die Speicherkarten sind voll und die ersten Gedanken finden ihren Weg auf das Papier.

Dem Himmel so nah, dem Schlaf so fern

Wer kennt sie nicht, die romantische Komödie »Schlaflos in Seattle« mit Tom Hanks und Meg Ryan in den Hauptrollen. Ich schreibe den Titel für meine Reise um: »Schlaflos in Peru – eine Geschichte über kalte Nächte und von der Hoffnung, die wahre Ruhe zu finden«. Um es vorwegzunehmen. Es ist mir nicht gelungen.

Das große Dilemma der Schlaflosigkeit begleitete mich fast auf der ganzen Reise durch den Andenstaat. Die Frage, die ich mir vor der Reise oft gestellt hatte, wie werde ich wohl die Höhe verkraften, war schnell beantwortet. Dabei waren Atemnot, Kopfschmerz und Übelkeit Nebenwirkungen, die ich auf dem Zettel hatte. An lange, kalte Nächte ohne Schlaf hatte ich nicht gedacht. Und dann waren sie da und ich hatte im wahrsten Sinne des Wortes genug Zeit, darüber nachzudenken, was das mit mir machte. Nach der zweiten Nacht im Hochland hatte ich mir noch Gedanken gemacht, wie ich das Schlafproblem lösen konnte, hatte in der Nacht am Laptop gesessen, gegoogelt und mich informiert. Ich hatte Bedenken, dass ich dem Tagespensum unserer Gruppe unausgeruht nicht folgen konnte.

Die Bedenken verringerten sich jedoch von Tag zu Tag. Zwar hatte ich von unserem wunderbaren Guide Christian kleine gelbe Pillen mit Baldrian und allerlei Wurzelzeug bekommen, richtig in den Schlaf zwangen sie mich aber immer nur für maximal eine Stunde. Ich verbrachte also die Zeit mit der ein oder anderen Zimmer-Nacht-Wanderung, der Bildbearbeitung und dem an die Decke starren. Dann wurde es Morgen und ich freute mich auf das Frühstück. Müdigkeit, gerädert oder Kopfschmerz? Nein, keine Spur. Ich war einigermaßen fit und weiß bis heute nicht, wie es funktioniert hat? Ich arrangierte mich damit, für den Schlaf in der Höhe nicht gemacht zu sein. Es blieb bei der Hoffnung auf eine Nacht in der Höhe mit einem »Schlafzeitfenster« von vier bis fünf Stunden. Mehr hatte ich am Ende nicht aufzuweisen.  

»Klimawandel« im Schweinsgalopp

Gestern noch die Schuhe voller Wüstensand und begeistert von der Oase Huacachina, heute auf dem knapp 5000 Meter hohen Andenpass nach Luft japsen und morgen schon die fleißigen Ameisen im Dschungel beobachten. Es ging im Galopp durch ein vielfältiges Peru mit seinen vielen Mikroklimata. Dieser Trip durch die biologisch-geografische Buntheit war ein wunderbares Spektakel.

Keine Überraschung, dass der Begriff »Klimawandel« in diesem Zusammenhang eine ganz eigene Bedeutung erfährt. Dank seiner Lage knapp unterhalb des Äquators und seiner Vielfalt durften wir einen 19-Tage-Klimawandel erleben – eine Reise durch die Welt im Kleinen: Von der Wüste durch die milden aber extrem trockenen Küstenregionen, ins kalte, karge Hochgebirge und in den tiefsten Dschungel. Und es wächst und gedeiht das pralle Leben.

Die Zonen »Tierra caliente*, fria und nevada«, wie sie mit heiß, kalt und schneeig benannt werden, stellten uns auch kleidungstechnisch vor Herausforderungen. Im gleichen Tempo, mit dem wir uns durch die Klimata bewegten, wechselten wir auch unsere Kleidung. Schon in der Nacht kam das eine oder andere Mal eine lange Hose oder ein leichter Pullover zum Einsatz. Am Tag bewährte sich oftmals das Zwiebel-Prinzip: Am Morgen mehrere Jacken und Mütze, mittags entblättert bis auf das langärmlige T-Shirt und dann wieder routiniert verhüllt bis in den späten Abend. Auch bei den gemeinsamen Abendessen wurde auf Jacken selten verzichtet.

Die Magie der Orte

Für Einige unserer Gruppe sollte der Besuch Machu Picchus eines der Highlights der Reise werden. Ich hatte mir im Vorfeld keine Gedanken darüber gemacht, was zu meinem persönlichen Top-Ziel gehört. Vielleicht bin ich es auch gelassen angegangen, weil mein Fokus auf der Street- und Porträtfotografie liegt. Und natürlich haben mich auf vergangenen Reisen besondere Ort und Landschaften auch »gepackt«. Peru war jedoch anders. Warum? Ich denke, es hängt mit den architektonischen Dimensionen, den rätselhaften Geschichten und Interpretationen zusammen, die den Orten innewohnen. Inmitten der beeindruckenden Festung Sacayhuaman, den Ruinen in Ollantaytambo oder den weltberühmten Ruinen Machu Picchus kommen einige Fragen auf, die einen zum Nachdenken bringen. In Anbetracht der Entstehungszeit und im Wissen der technischen Möglichkeiten ist man zutiefst beeindruckt von den Inka-Stätten. Die Kirsche auf der Sahnetorte waren dann die Erklärungen von unseren Guides, die immer wieder hochinteressant zu den Bauwerken berichtet haben.

Es sind aber nicht nur die architektonischen Wunderwerke, die beeindrucken. Ich habe die Zeit in unserem »Tourbus« genossen, in dem wir durch die Landschaft des Hochlandes geholpert sind. Besonders die Überfahrt über den Patapampa-Pass auf ca. 4.800 Metern. Um einen herum schneebedeckte Berge, die teilweise stolze 6.300 Meter messen. Wenn man(n) dann ganz winzig einen Blick auf einen der aktiven Vulkane Ampato, Sabancaya und Hualca Hualca hatte, dann war sie wieder da, diese besondere Magie.     

Wenn du Hilfe brauchst, spreche bitte das Zauberwort: »Christian«

Gemeinsam an einem Tisch versammelt, ein letztes Mittagessen, wir zogen kurze, hastige Resümees der Reise und den Heimflug nach Europa vor Augen. Ein letzter Tag in Lima und mir schräg gegenüber saß unser Guide Christian, seine Cap tief ins tränenverregnete Gesicht gezogen. Was war passiert? Christian wurden übermannt aufgrund der vielen warmen Worte, die ihm von der Gruppe entgegengebracht wurden.

Wir blickten zurück auf eine gemeinsame 19-tägige Zeit, in der er die Zügel immer fest in der Hand hielt, immer den Überblick hatte, unterstützte, beriet, erklärte und Wasser schleppte. Nie hektisch, wunderbar unaufgeregt und immer in der Lage, jedem von uns bei einem Wehwehchen behilflich zu sein. Großartig!  

Begegnungen in Peru

Ich habe die Ausblicke in die Landschaft gefeiert. Ich war beeindruckt von den Ruinen der Inkas. Ich habe den Erfahrungsaustausch in der Gruppe nach der »Corona-Reise-Pause« genossen.

Das Allerwichtigste für mich waren jedoch die Begegnung mit den Menschen vor Ort. Das typische »Kauf mir was ab«-Gespräch, der überraschende Besuch auf einem Maisfeld oder das Eintauchen in einen streng riechenden, überfüllten und emsigen Fischmarkt, das Bad in der Menge – das interessiert mich. Begegnungen mit neuen Facetten. Ich würde formulieren: Kein direktes Lächeln, kein schnelles »Hallo«, kein »Zack – komm‘ rein auf einen Tee«. Mehr Zurückhaltung, mehr Vorsicht und in sich gekehrt sein – eine Melancholie. Natürlich ist das meine sehr subjektive Einschätzung, die ich aus dem Vergleich mit meinen vergangenen Reisen ziehe.

Es waren wieder tolle Erfahrungen. Viele lachende und ernste Gesichter, die mir auf der Reise entgegengeflogen sind, einige skurrile Missverständnisse aufgrund meiner mangelnden bis nicht vorhanden Spanischsprachkenntnisse. Es sind die Dialoge, die Porträts und kleinen Geschichten, die als prägende Eindrücke in meiner Erinnerung bleiben werden – so wie immer. Somos Uno.

alle Fotos aus diesem Gastbeitrag © Frank Niedertubbesing

* Tierra caliente (»heißes Land«): tropischer Regenwald mit Durchschnittstemperaturen um die 25 Grad / Tierra fria (»kaltes Land«): spärliche Wälder auf rund 2000 Meter Höhe, Tierra nevada (»Schneeland«) erstreckt sich jenseits der Höhe von 5000 Metern

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