Reisebericht Kolumbien Fotoreise 2023

Frank Niedertubbesing 06.12.2023

Im August/September waren wir mit einer Gruppe in Kolumbien unterwegs. Ein Land, das uns vor allem durch seine Menschen fasziniert hat. Unser Teilnehmer Frank hat darüber einen sehr schönen Reisebericht geschrieben, den wir hier gerne mit euch teilen möchten. Die Fotos zum Text wurden ebenfalls von Frank zur Verfügung gestellt.

Die Vorfreude auf eine Reise – und die Bilder in meinem Kopf: Koka-Anbau, Guerilla, Shakira, Gabriel García Márquez. Jetzt liegt das Abenteuer Kolumbien schon einige Wochen zurück und ich betrachte die Bilder, schaue auf flüchtige Notizen, kleine Zettel und Erinnerungsstücke, die ich während der Zeit in Kolumbien eingesammelt habe. Ich freue mich, dass ich mich dem Thema »Begegnungen mit Menschen« für eine kurze Zeit wieder so intensiv widmen konnte. Einige wunderbare »Museumstage*« sind zu meiner persönlichen Sammlung hinzugekommen. Kleine Bildergeschichten von herzlichen, skurrilen und irritierenden Begegnungen hat es gegeben, die nun ihren Weg auf das Papier finden werden.

Aber da gibt es noch ein anderes Thema, was ich auf dem Zettel notiert habe: »Gegensätze«. 
Während der Reise war mir dieser Aspekt gar nicht so bewusst – erst bei der Sichtung und Bearbeitung der Fotos ist mir aufgefallen, dass ich dieses Thema die ganze Zeit unbewusst dokumentiert habe. Geografisch, architektonisch und kulturell trifft das natürlich auch auf viele andere Länder zu. Beeindrucken fand ich jedoch, dass sich Vielfältigkeit und Gegensatz immer so dicht beieinander befanden. Um die nächste Ecke, eine Schlafeinheit im Bus oder eine Stunde mit dem Flugzeug – und zack, war alles anders.

Hoppla, das sieht ja aus wie »Bauhaus« – der Start in Bogotá

Die Ankunft in Bogotá war auch ein Wiedersehen mit Christian, er hatte uns als Guide auf der Peru-Reise 2022 begleitet. Da stand er, derselbe Rucksack, dieselbe blaue Jacke, dasselbe freundliche Lächeln und der obligatorische Griff zu meiner Tasche, die Christian mir – so hilfsbereit wie er eben immer ist – natürlich sofort abnehmen will. Ich verneine freundlich, lache und es ist so, als hätten wir uns erst gestern in Lima voneinander verabschiedet. So wünscht man sich das Ankommen zu einem neuen Abenteuer.

Den Abend verbrachten wir mit einem ausgedehnten Spaziergang durch die Altstadt von Bogotá, bevor wir uns zum Abendessen in einem Restaurant trafen, um uns kennenzulernen und den Anweisungen und Infos von Martin und Christian zu lauschen. An den nächsten beiden Tagen erkundeten wir Bogotá, bewunderten die Graffitis in der Stadt – besonders im Stadtteil La Candelaria – und ließen uns einnehmen von dem pulsierenden Treiben in den Straßen. Was mir besonders auffiel, war der verrückte Mix und die Abwechslung der Hausfassaden bezüglich des Stils. Angefangen von unserem Hotel Casa Deco, das Elemente des Art déco aufwies – dann gleich um die Ecke ein Gebäude mit einer Fenstergestaltung, die mich stark an die Bauhausarchitektur erinnerte und schließlich rund um den Plaza de Bolívar die Kathedrale und Gebäude aus der Kolonialzeit – geschichtsträchtig, beeindruckend und erhaben.

Später recherchierte ich aus Neugier im Internet: Mitte des 20. Jahrhunderts war die kolumbianische Hauptstadt unter dem Einfluss verschiedener Vertreter der Moderne eine Art Architekturlabor. Der Schweizer Architekt Le Corbusier besuchte Kolumbien fünf Mal und hatte in der Folge großen Einfluss auf die jungen Rogelio Salmona und Germán Samper Gnecco – beide Kolumbianer studierte an der Universidad Nacional in Paris und arbeiteten im Büro von Le Corbusier. Um sie herum bildete sich später eine Gruppe ausgebildeter Architekten, die die Einflüsse der modernen Architektur in den nachfolgenden Jahrzehnten in die Städte trugen. Man lernt nie aus.

Das Versteck hinter den Mangrovenwäldern

Am dritten Tag unseres Abenteuers verließen wir früh am Morgen Bogotá, um über Cali und Buenaventura weiter mit dem Boot nach Juanchaco zu gelangen. Das Dorf liegt abgelegen hinter unzugänglichen Mangrovenwäldern und ist nur mit dem Boot zu erreichen. Tapetenwechsel – an der Pazifikküste erwartete uns eine einfache afro-kolumbianisch geprägte Siedlung. Die Menschen leben vom Fischfang, Muschelsammeln und von Waal- und Delphine-Touren. Die Szenerie ist geprägt von ungeteerten einfachen Straßen und Wegen, von bunten Häusern und Hütten und von mit Vorsicht zu genießenden Straßenhunden. Die Ausflüge in den darauffolgenden Tagen zu den Walen, Delphinen und in die Mangrovenwälder habe ich sehr genossen – mein größeres Interesse galt jedoch der Ortschaft Juanchaco und seinen Menschen. Unvergessen der Plausch unter der Wäscheleine, der Besuch einer kleinen Tischlerei oder die stille Beobachtung des bunten Treibens am Bootsanleger. Nach den ersten Eindrücken der bunten, pulsierenden Metropole Bogotá, war das einfache und paradiesische Versteck in der Bahía de Buenaventura das passende Kontrastprogramm.

My home is my »colored« castle

Das Abenteuer Kolumbien führte uns dann weiter nach Salento. Das idyllische Bergdorf in der Kaffeezone ist ein bekannter Ausgangspunkt für Ausflüge in das Cocora-Tal. Mein erstes Erstaunen an diesem Ort galt jedoch den bunt bemalten Häuserfassaden – schrill, individuell und kreativ bis ins letzte Detail. Das muss eine große Liebe zum eigenen Zuhause sein, die so viel Engagement und Aufwand antreibt. Die bunten Häuser von Salento sollte jedoch nicht das letzte sein, was uns im Departamento Quindío verzaubern sollte. Denn am nächsten Tag ging es mit gutbereiften Jeeps nach Tochecito ins Cauca-Tal, um den Nationalbaum Kolumbiens, die berühmten – bis zu 50 Meter hohe ­– Quindio-Wachspalme zu bestaunen. Die sich im Wind wiegenden Palmen sind ein einzigartiges Naturschauspiel, für dessen Anblick man aber auch ein kleines Opfer bringen muss, denn die gut 6-stündige Hin-und-Rück-Ruckel-Fahrt auf dem Rücksitz des Jeeps stellte höchste Ansprüche an die eigenen Knochen.   

Der Punk hinter der Fassade

Ab in die Karibik! Unser nächstes Ziel war »DIE« Touristenattraktion Kolumbiens, Cartagena. Das Castillo San Felipe, die größte spanische Wehranlage Südamerikas, prangt als Wahrzeichen über dem Altstadtzentrum, das umgeben ist von einem Stadtmauerring. Innerhalb des Rings kleine bunte Gassen und blumengeschmückte Kolonialhäuser. Eine echte Perle – wunderschön!

Für mich persönlich zu schön. Eine Filmkulisse, wie wir es beim Anblick von Venedig vorfinden – künstlich, aufgesetzt und hergerichtet für Touristen, die sich gerne entertainen lassen möchten. Wer es mag‘ wird begeistert sein. Natürlich fühlte auch ich mich von diesem Ort bestens unterhalten, habe am Abend bei Christian trotzdem etwas gebohrt und gefragt, was sich denn außerhalb des »goldenen Käfigs« noch so tut. Ein verschmitztes Lächeln von ihm als Antwort reichte mir und ich wusste, er wird in seinen Zauberkasten langen. Schon am nächsten Morgen beim Frühstück eröffneten uns Martin und Christian zwei Optionen für den Tag. Eine weitere Open-Air-Kinovorführung in der Altstadt oder ein Besuch des Mercado de Bazurto – irgendwo da draußen. Natürlich hatte Christian einen Freund, ein Taxifahrer und zugleich der beste Guide für den Markt, den er persönlich fast wöchentlich mit seiner eigenen Familie besuchte – was für ein Zufall.

Feilschen, engen Gassen, eine Vielfalt an Obst- und Gemüsesorten, stapelweise frische Maracujas, Avocados, Lulos, frisch entnommene Innereien auf der Schlachtbank, enthäutete Rinderschädeln und heiß blubbernde Paella-Pfannen – krasse Gerüche. Abenteuerlich, skurril, chaotisch, dreckig, authentisch. Ein Labyrinth aus Marktgassen, angeblich nichts für Fremde – und wir mittendrin, herrlich. Vom ersten Moment genoss ich die Zeit auf dem Markt, das pure Leben mit all seinen Facetten – Freude, Frust, Anstrengung, Leichtigkeit, Armut, Arbeit und Lust. Der Mercado de Bazurto – ein Highlight meines Abenteuers Kolumbien.     

Wer schenkt uns eine Pachamama?

Wir machen uns auf den Weg zur letzten Etappe unseres Kolumbien Abenteuer und fahren mit dem Bus die Karibikküste entlang in den Nationalpark Tayrona. Hier beziehen wir unsere atemberaubend schöne Unterkunft in der Finca Barlovento. Wunderschön und direkt an der Küste gelegen. Ja, so schön kann »Mutter Erde« sein.  

Was es mit der Pachamama, unserer Mutter Erde noch so auf sich hat, sollten wir schon am nächsten Tag erfahren. Denn mit einem Local-Guide machten wir uns auf den Weg, um das indigene Naturvolk der Kogi zu besuchen. Das Dorf befindet sich in einer speziellen Situation, denn es liegt nur eine gute halbe Stunde Fahrt mit dem Jeep von der Zivilisation entfernt – ein sogenannter Vorposten. Die Menschen in diesem Dorf sind die Brücke zwischen den Kogi, die fern von diesem Ort, tief in den Bergen der Sierra Nevada leben und den modernen Menschen in den Städten, die global vernetzt sind, meiden.

Im Zuge der Kolonisierung wurden die Kogi in den vergangenen Jahrhunderten immer weiter in die höheren Lagen des Gebirges zurückgedrängt. Mittlerweile gibt es aber eine vereinzelte Annäherung an die Zivilisation, was auch dazu geführt hat, dass das Naturvolk seit einigen Jahrzehnten dabei ist, ihr ursprüngliches Territorium Stück für Stück zurückzukaufen. Mittlerweile benutzen die Kogi Handys, haben Mini-Solaranlagen auf ihren Hütten, betreiben Handel und Tauschgeschäfte mit selbst hergestelltem Schmuck und Taschen.

Eines jedoch bleibt unverrückbar: das Leben im Einklang mit der Natur. Die Natur bestimmt den Takt des Lebens. Die Pachamama, dass »Herz der Erde«, muss geachtet und in seinem Wesen gehütet werden – man isst von ihr, man lebt von ihr. Beneidenswert und für die eigene Erkenntnis zutiefst bitter, denn die ursprüngliche Verbindung zur Natur haben wir doch schon alle verloren oder haben sie gar nie besessen.

Gegensätze ziehen sich an

Unser Abenteuer Kolumbien neigte sich dem Ende. Zurück in Bogotá verbringen wir einen letzten Abend in lustiger Runde und erzählen uns die Anekdoten der letzten 14 Tage. Danach ein letzter abendlicher Spaziergang durch die Gassen der Hauptstadt zurück zum Hotel. Eine letzte Abbiegung und da lagen sie. Ein junges Paar, die junge Frau eingewickelt in allerlei Lumpen, der junge Mann mit schwarzen Locken den Schuh verloren und mit offener Jacke bei kühlen Abendtemperaturen. Beide umhüllt von Müll. Wir steigen wortlos über sie hinweg, verschwinden hinter den Mauern unseres Hotels und die Szene scheint damit abgehakt.

Nur nicht in meinem Kopf. Der Zufall will es, dass mein Zimmerfenster den Logenplatz zu diesem Schauspiel bietet. Ich stehe lange im Dunklen da, beobachte das dort liegende Paar und frage mich: bist du jetzt ein blöder Gaffer, einfach nur ein Idiot. Ich beschließe ins Bett zu gehen, stehe aber nach einer halben Stunde wieder auf, um nach den Beiden zu sehen. Unverändert – identische Liegeposition. Jetzt hole ich mein Stativ und fotografiere – die um die Ecke biegenden Fahrzeuge geben mir das nötige Licht. Ich gehe wieder ins Bett und stehe wieder auf. Unveränderte Liegeposition. Von einem lauten Motorengeräusch aufgeweckt schaue ich erneut nach. Polizei und Müllabfuhr sind da – das junge Paar ist verschwunden. Alles ist so, als wäre nie etwas passiert – ich mache ein Foto. Am Morgen packe ich meine Tasche, die Sonne scheint durch die Vorhänge und schaue noch einmal nach unten auf die Straße. Ein junger Mann mit Cap huscht vorüber und ich drücke ein letztes Mal auf meinen Auslöser. Das wars. 

alle Fotos in diesem Beitrag © Frank Niedertubbesing

 

Teilen: